«Zurück» zur Normalität – Gedanken zum «New Normal»

 In Blogbeitrag

«Zurück zur Normalität», das «New Normal»- darüber hat man seit der Corona-Pandemie oft sprechen gehört. Insbesondere nachdem die fortschreitende Impfkampagne zu einer kleinen Verschnaufpause geführt hat, ist der Ausdruck des «neuen Normal» oder der «neuen Normalität» öfter zu hören. 

Diese Begriffe suggerieren eine Stabilität, die durch die Pandemie gestört wurde, und zu der man wieder zurückfinden könne. Entsprechend vermittelt das «New Normal» eine neue Form der Stabilität. Doch ist dieses zweifellos subjektive Bild der Wahrnehmung einer Stabilität durch die Realität gerechtfertigt? Oder ist das «New Normal» eher ein Konstrukt, das uns hilft viele Veränderungen auszublenden bzw. auszuhalten?

Stabilität als Strohhalm in einer komplexen Welt

Zumindest gibt es Hinweise darauf, dass diese Stabilität eine starke Vereinfachung darstellt. Nehmen wir als Beispiel Impfungen und Therapien. Zahlreiche erfolgreiche Impfkampagnen haben in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern der Welt dazu geführt, insbesondere in den Hoch-Einkommensländern, viel Leid, das durch Infektionskrankheiten verursacht wurde, zu vermeiden: z.B. Polio, Pocken, Masern, Hepatitis A und B, Grippe u.v.m. 

Die HIV-Pandemie hat sexuelle Praktiken weltweit verändert. Für lange Zeit kam eine Infektion einem Todesurteil gleich. Darauf folgten Safer-Sex sowie die Stigmatisierung. Auch wenn es noch keine Impfung gegen HIV gibt, entspannte sich die Situation aufgrund der hochaktiven antiretroviralen Therapie merklich.

Es hat sich also einiges geändert – zumindest in den Hoch-Einkommensländern. Doch so wie vor HIV, oder vor den Impfkampagnen, wird es nicht mehr werden; zum Glück möchte man hinzufügen. 

Die Vergangenheit ist unwiederbringlich

Es stellt sich die Frage, ob wir nicht vielmehr Zeugen einer «Drift» anstelle eines «New Normal» sind. (Kleine) Veränderungen  bewirken Positives oder Negatives für unseren Alltag, und nach ein paar Jahren erkennt man rückblickend, dass sich doch eigentlich recht viel verändert hat; und sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen lässt. Ist eine solche evolutionäre Sicht auf den Wandel im Alltag nicht angemessener als das Beschwören einer Stabilität, die all die Veränderungen nicht anerkennt?

Trotz des Stabilitätsdenkens ist die Idee des Fortschritts ebenso in unseren westlichen Kulturen verankert. «Es geht voran» hiess ein Lied der Neuen Deutschen Welle in den 80er Jahren und kommentierte bissig und satirisch diesen Fortschrittsgedanken. Doch vielleicht ist es ja auch gar kein Fortschritt, sondern die Bewegung findet in alle Richtungen statt.

Es bleibt jedem selbst überlassen, wie er oder sie den aktuellen oder einen vergangenen Zustand aus der Summe verschiedenster Faktoren zusammenfassend (als Normalität) beschreibt. Doch je weniger spezifisch eine solche Definition ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Differenzen ausgeblendet werden. Und vielleicht führt diese Vereinfachung dazu, dass man weniger System-Zustände sieht. Und diese scheinen aufgrund dieser geringen Anzahl dann eben stabiler. So erklärt sich leicht, dass man zum Eindruck einer stabilen Normalität kommt, die den Übergang von einer Normalität zur anderen suggeriert.

Die Arbeitswelt ist und war noch nie stabil

Was bedeutet das für unsere Arbeitswelt? Ist es dort nicht ebenso, dass sich dauernd etwas ändert und wir somit auch permanent Teil eines neuen Systems, eines sich entwickelnden und zum Teil auch (selbst-)erneuernden Systems sind? 

Die Wahrnehmung eines Zustands der konstanten Normalität mag im Alltag dadurch gerechtfertigt werden, dass er einen gewissen Komfort liefert. Bei genauerer Betrachtung erscheint eine solche Sichtweise und Vereinfachung  im Organisationskontext aber als wenig angemessen und unzureichend. Spätestens hier ist es nützlich und hilfreich für die Analyse und Diskussion angemessenere Formen der Zustandsbeschreibungen von Systemen anzustreben. Zum Beispiel eher von einem «Next Normal» zu sprechen, wie es die Kolleg:innen von Metaplan und Haufe in ihrer Studie zu den Auswirkungen der Pandemie auf Organisation(en) tun. 

Auf jeden Fall lehrt es uns – einmal mehr – dass man komplexen Systemen – ob im Alltag oder im Organisationskontext nicht mit Vereinfachung gerecht wird.

 

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