Übergänge meistern: reflektierte Weggestaltung statt rationale Zielorientierung

 In Blogbeitrag

Wir sind ständig mit Übergängen beschäftigt: Von der Pandemie zurück zur «Normalität», vom Büro ins Homeoffice (und wieder zurück?), von der bisherigen zur neuen Organisationskultur. Damit verbunden ist eine Vorstellung davon, wie es dort sein wird, wo wir hinwollen. Auch die Hoffnung, dass es am «neuen Ort» klarer, besser und stabiler sein wird, schwingt mit. Und man hofft, dass dann, dort angekommen, wieder Ruhe eintritt. Sind diese Erwartungen berechtigt? Sind sie hilfreich? Die Erfahrung zeigt: Wohl eher nicht. Mit Unklarheit und Ungewissheit umzugehen ist Daueraufgabe. Es ist Zeit, sich darauf einzustellen.

Brücken an ein unbekanntes Ufer

Angela Merkel verglich die Bewältigung der Pandemie in einem Gespräch mit Hilfs- und Krisenorganisationen mit einem Brückenbau: «Wir versuchen jetzt, die Brücken zu bauen, aber wir wissen auch nicht, wohin wir die genau bauen. Also, das Ufer sehen wir ja auch nicht. Das ist ja überhaupt das ganz Schwierige an der Pandemie, dass man das Ende nicht kennt.» Sie brachte damit auf den Punkt, was viele von uns auch an anderer Stelle erleben: Wir merken, dass sich etwas ändert (und wir uns ändern müssen). Wie lang die Brücke sein muss, wie hoch über dem Ufer wir rauskommen und wie der Boden dort beschaffen sein wird, wissen wir nicht. Gut wäre zumindest die Richtung zu kennen, in die wir bauen müssen.

Bergsteigerin prüft den Übergang einer Gletscherspalte

Das Zielfoto entsteht vor dem Start

Ein häufiges Anliegen von Kunden für Organisationsberatung ist eine «Transformation». Erwartet wird ein Übergang vom aktuellen (Ist-Zustand) in einen angestrebten Ziel-Zustand – in möglichst naher Zukunft. Das Wort Transformation beinhaltet die Annahme, dass es zwei (stabile und beschreibbare) Zustände gibt und man nur den Unterschied überbrücken muss (um bei dem Bild zu bleiben). Eine Brücke vom bekannten Land (z. B. der «klassischen Organisation») zum Neuland. Wobei das Neuland oft so neu auch nicht ist. Jemand aus dem Bekanntenkreis hat es schon betreten. Dadurch sind die wichtigsten Eckdaten bekannt: Dort arbeitet man wahlweise mitarbeiter- oder kundenzentriert, hierarchiefrei und selbstorganisiert, agil und lernend oder eine Kombination daraus. Und darum fühlen sich dort alle sehr viel wohler als in der heutigen Heimat. Das Zielfoto für den Brückenbau wird also bereits zum Baubeginn mitgeliefert – auch wenn wir das andere Ufer noch gar nicht sehen.

Ziele machen blind

Plan- und ingenieursmässiges Vorgehen eignet sich für Probleme, die sich rational durch technische Hilfsmittel lösen lassen (z. B. die Überquerung eines Tals mit einer Brücke). Veränderungsvorhaben in Teams, Organisationen oder auf gesellschaftlicher Ebene gehören nicht unbedingt dazu. Trotzdem halten wir stur an der Idee fest (Ziel definieren, Plan entwickeln, umsetzen), als ob es die einzige Möglichkeit wäre, Veränderungen zu gestalten. Wir übersehen dabei oft, dass…

  • Pläne und Ziele meist nur scheinbar Sicherheit bieten (Ziele können unbrauchbar und gefährlich sein)
  • Ziele blind machen können für Alternativen und Gelegenheiten, die sich ausserhalb unseres Fokus› bieten.
  • der Wert allein im Erreichen des Ziels gesehen wird. Der Weg erscheint als lästiges Übel, zum Überschreiten eines Hindernisses
  • Ein Ziel und ein Plan noch nicht die Umsetzung sind. Der Aufwand für die Realisierung wird regelmässig unterschätzt, weil Widerstand und Unvorhergesehenes nicht eingerechnet werden.

Wir vergeben uns die Chance, anderes, passenderes, neuartiges zuzulassen. Hinzukommt: Der Aufwand, Ziele zu definieren, sie zu überprüfen, gegen Kritik zu verteidigen und bei geänderter Ausgangslage stabil zu halten, ist erheblich. Der Nutzen für komplexe Veränderungen mehr als fraglich. Was sind Alternativen?

«Schaut Euch mal um Leute! Wir stehen ohne Wasser in der Wüste und wollen eine Brücke bauen?»

Wir brauchen mehr Selbstverortung

Vielleicht wollte Angela Merkel auch sagen, dass das mit dem ingenieursmässigen Vorgehen nicht immer passend ist. Mit einem soliden Fundament und ausgereifter Technik ist vieles möglich. Doch in komplexen sozialen Veränderungen bleiben wichtige Fragen auch damit unbeantwortet:

  • Wo stehen wir überhaupt (oder wo bewegen wir uns gerade)?
  • Was wissen wir (und was nicht)?
  • Wo sind wir offen und was darf auf keinen Fall passieren?
  • In welche Richtungen können wir gehen (und wollen wir das überhaupt)? Wie hoch ist der Einsatz, wie hoch er vertretbare Verlust?
  • Was sollten wir ausprobieren, um etwas über uns und unsere Situation zu erfahren?
  • Was brauchen wir, um gut unterwegs zu sein? Sind wir fit und gut ausgerüstet dafür? Wer ist dabei und wie arbeiten wir zusammen?

Wer Fragen wie diese beantworten können möchte, braucht die Fähigkeit zur Selbstregulation (z B. nicht gleich in Hektik verfallen – wir müssen doch etwas tun! Auch unter Angst funktionieren), Selbstreflexion (siehe Fragen oben) und Zeit. Wer diese Selbstverortung trainiert, hat die Chance auf mehr Offenheit für Neues, eine Schärfung der (Selbst-)Wahrnehmung und der Intuition. Im Gegensatz zu einer Brücke ist das nicht die Lösung für ein bestimmtes Problem. Es ist ein Beitrag zur eigenen Fitness im Umgang mit Unsicherheit und Krisensituationen.

Bergsteigerin beim Übergang über eine Gletscherspalte

Nomadisch unterwegs: der Sinn für die Richtung statt für Ziele

Dazu passt das Bild vom Nomadischen Unterwegssein: Nomaden müssen gut für sich sorgen können, auch in stürmischen, kalten oder dürren Zeiten. Sie müssen mit Ungewissheit und Komplexität umgehen (Klima, Jahreszeiten, Wetter, Nahrungsmittelangebot, Dynamik, Entwicklungen und Bedürfnisse in der Gruppe). Sie unterliegen nicht der Illusion, die Umwelt steuern zu können. Die Fähigkeit , schwache Signale früh erkennen ist überlebensnotwendig. Dazu ist es sinnvoll, die eigene Wahrnehmung zu trainieren und die Perspektiven aller zu nutzen. Nomaden wollen leicht unterwegs sein und reduzieren ihr Gepäck. Unterwegssein (Übergang) und Ruhen wechseln sich ab. Es gibt Zeiten des Handelns und Zeiten zum Reflektieren (z. B. Gemeinsam am Feuer sitzen).

Der Prozess gleicht dem Erstellen einer inneren Landkarte, die laufend mit neuen Erkenntnissen über sich selbst und die Umgebung. gefüllt wird. Jeder Weg beginnt mit einem Sinn für eine gute Richtung statt mit einem klaren Ziel. Die Frage ist nicht «Wo wollen wir am Ende des Jahres sein?» sondern «Was braucht es jetzt, damit es gut weitergeht?» Der Weg ist nicht mehr das lästiges Übel hin zum Ziel sondern ein wichtiger Teil des Erlebens.

Alles Selbstbeschäfitigung?

Als wir das Bild an einem Workshop vorstellten meinte ein Teilnehmer

«Aber dann beschäftigen wir uns ja nur noch mit uns selbst.»

Ja, und dies Erkenntnis ist wichtig. Es geht um die Frage, wie wir wohin schauen (statt was wir sehen sollen). In unseren Szenarioworkshops als Beispiel, geht es nicht um die Zukunft, wie sie sein wird, sondern wir wir aus der Gegenwart darauf schauen. Wir beschäftigen uns mit uns im Umgang mit der Innen- und Aussenwelt. Beobachtungsstandpunkte und Resilienz:

Es geht um Regulationskompetenz, so dass wir uns innerlich steuern können, gerade in destabilisierenden Momenten, so dass wir die Kapazität. haben, uns zu fokussieren auf etwas, was uns stabilisieren kann, damit wir im Aussen entsprechend flexibel reagieren können. (Prof. Jutta Heller, Resilienzforscherin )

Am Ende sind wir selbst (als, Person, als Team, als Organisation) das einzige, was wir beeinflussen können. Das macht aber nichts. Denn wie der Künstler Marco Spitzar sagt:

«Sich mit sich selber auseinanderzusetzen, könnte die Fähigkeit erhöhen, sich auch in andere Positionen hineinzuversetzen.

 

Herzliche Grüsse

Unterschrift RK

Recent Posts

Leave a Comment

Kontaktieren Sie uns

Wir sind gerade nicht online. Aber Sie können uns eine Nachricht senden und wir melden uns schnellstmöglich bei Ihnen.

Start typing and press Enter to search

Szenario-Analyse