Leadership heisst vorwärtsscheitern – Permission to Screw Up
«Permission to Screw Up» von Kristen Hadeed
Kann man keine Ahnung haben, (fast) alles verkehrt machen und trotzdem erfolgreich sein? Ja, sagt Kristen Hadeed. Solange man sich nicht zu schade ist, sich ordentlich zu schämen und immer wieder dazuzulernen. In ihrem Buch «Permission to Screw Up» beschreibt sie, wie sie aus der Not heraus eine Firma gründete, zu führen lernte und so ein Unternehmen aufbaute, in dem Menschen gerne arbeiten. Es ist eine beeindruckende Geschichte über das Scheitern, das Lernen, Führung und den Umgang mit Zufällen, kurz: über Leadership.
Eine Designerjeans als Unternehmenszweck
Kristen studiert im zweiten Semester Finanzwissenschaften. Nicht weil sie das interessiert, sondern weil dies das grösste Gehalt verspricht. Sie ist knapp bei Kasse. Ihr Stipendium deckt gerade ihre Grundausgaben. Das wird zum Problem, als sie sich in eine Designerjeans für $99 verliebt.
Doch Kristen ist erfinderisch. Sie schaltet kurzerhand ein Inserat. Ihr Angebot: sie putzt das ganze Haus für $99. Pauschal. Dass sie weder Ahnung vom noch Ausrüstung für das Putzen von Häusern hat, führt bereits beim ersten Auftrag in ein Desaster. Für die Reinigung des Herrenhauses benötigt sie sieben Stunden, statt wie geschätzt zwei. Und sauber wird das Haus nicht wirklich. Doch sie bekommt ihre Jeans und denkt, die Sache ist damit erledigt.
Plötzlich Chefin
Die Kundin mit dem Herrenhaus meldet sich zurück. Nicht, wie erwartet, um sich zu beschweren. Sie zeigt der jungen Studentin, wie man richtig putzt und engagiert sie wöchentlich. Kristen schätzt das regelmässige «Einkommen» und erhält bald weitere und grössere Aufträge: zum Beispiel das Studentenwohnheim. Um dies meistern zu können, muss eine Firma gründen, Studenten anstellen. Sie findet sich im Nu in der Rolle einer Unternehmerin und Führungsperson.
Kristen kümmert sich jetzt voll um ihre neue Firma Student Maid. Doch sie hat weder von Betriebs- noch von Personalführung eine Ahnung. Ihre Angestellten wissen nichts vom Putzen und der Job ist hart. Kristens Team ist frustriert und drauf und dran, alles hinzuwerfen. Die junge Chefin muss sich überlegen, wie sie die Leute bei der Stange hält, um ihre Auftraggeber nicht zu enttäuschen. So nimmt die spannende «Ausbildung in Leadership» von Kristen ihren Lauf.
Leadership: scheitern, reflektieren und von anderen lernen
Das junge Unternehmen Student Maid wächst rasant. Und Kristen wird oft und hart geprüft und stösst laufend an ihre Grenzen. Sie muss für anspruchsvolle Kunden schwierige Aufträge realisieren und mit starken saisonalen Schwankungen umgehen. Sie engagiert sich, wo es geht. Das führt dazu, dass alles an ihr hängt. Sie überlegt sich, wie sie sich anders organisieren kann. Sie gibt sie Verantwortung ab, es passieren schwere Fehler. So hangelt sie sich von Führungsthema zu Führungsthema: von Fragen zur Motivation, Einstellungsverfahren, Gehaltsverhandlungen, Feedback-Kultur und Performance-Messung, zu schwierigen Gesprächen und Kündigungen, bis hin zu den Fragen, wie viel und welche Regeln sinnvoll sind oder wer was entscheiden darf. Selten klappt etwas auf Anhieb oder läuft es wie geplant. Doch Kristen ist kreativ und ausdauernd. Sie sucht hartnäckig nach geeigneten Lösungen, recherchiert, holt sich Hilfe, reflektiert und lernt. Dabei kommt ihr oft der Zufall zur Hilfe. Ihre besondere Fähigkeit ist, die Gelegenheiten zu erkennen und zu nutzen.
Erstaunlich und beeindruckend sind der grosse Erfolg und das schnelle Wachstum der studentischen Reinigungsfirma. Denn es fehlt viel von dem, was man für eine erfolgreiche Gründung als notwendig erachtet: Businessplan, eine Vision, eigenes Startkaptial oder einen Investor. Der Jungunternehmerin und ihrem Team gelingt es, das zu nutzen, was vorhanden ist. Sie vernetzen sich, gehen Partnerschaften ein und entwickeln sich iterativ weiter. Das Vorgehen entspricht stark dem, was als Effectuation beschrieben wird.
Lesetipp, nicht nur für junge Führungskräfte
Permission to Screw up ist Kristen Hadeeds sehr persönliche Geschichte über grosse Verantwortung, Konflikte, Verletzlichkeit, Enttäuschungen und Schmerz, über Höhen und Tiefen einer Gründerin und Unternehmerin. Gedankengänge, Vorgehen und Sprache der Autorin sind stellenweise überraschend, mitunter auch befremdlich. Doch genau das ist der Charme des Buchs. Es ist weder missionarisch noch dogmatisch. Der Autorin geht es nicht darum, ihren Weg als Lösung zu präsentieren. Ihr Geschichte zeigt, was es bedeutet, mit Vielfalt und Unberechenbarkeit, mit Unvollkommenheit und Frust umzugehen, oder besser, lustvoll umzugehen.
Dabei sind aus meiner Sicht drei Fähigkeiten von Kristen Hadeed von besonderer Bedeutung:
- Die Fähigkeit, Möglichkeiten zu schaffen: In Situationen der Unsicherheit (und derer gibt es viele) zögert sie mitunter. Kristin ist keine Entscheidungsmaschine. Leadership bedeutet für sie nicht, immer selbstbewusst voran zu gehen oder Sicherheit vorzutäuschen. Doch sie wird immer aktiv, experimentiert und schafft sich neue Handlungsmöglichkeiten.
- Die Fähigkeit, sich zu schämen: Kristin schämt sich für ihre Naivität, für ihre Fehleinschätzungen und Fehltritte. Die Fähigkeit sich zu schämen führt dazu, dass sie weder sich noch andere jemals anklagt. Sie tut was sie kann, reflektiert, zeigt sich verletzlich und tauscht sich mit anderen offen aus. Dadurch lernt sie viel und schnell.
- Starkes Verantwortungsgefühl: Kristin fühlt sich in einem Mass für die Menschen verantwortlich, das weit über die Arbeit hinausgeht. Sie kümmert sich um die Anliegen und Probleme ihrer Mitarbeitenden, weil es ihr ein echtes Anliegen ist.
Mit dem Wachstum ihres Unternehmens und steigenden Erfolg zieht sich Kirsten zunehmend aus dem operativen Geschäft zurück. Sie sieht ihre Aufgabe in der Entwicklung und Wahrung einer guten Kultur in ihrem Unternehmen. Vielleicht ist das im Kern die Definition von Leadership.
Buchtitel: Permission to Screw Up, Kristen Hadeed, Penguin Random House LLC, New York, 2017
Kristen Hadeed im Interview über Leadership und die Fähigkeit zu Scheitern.