Das Divergenz-Konvergenz-Modell
Veränderung und die Erarbeitung von Lösungen für komplexe Fragestellungen lassen sich nicht planen, steuern oder kontrollieren. Wichtig ist vielmehr Raum für Wahrnehmung, Austausch und Beziehung zu schaffen. Das Divergenz-Konvergenz-Modell ist die Basis dafür. Es bietet Führungspersonen und Beratenden Orientierung für die Gestaltung von Veränderungs- und Innovationsprozessen.
Veränderung: vom Wesen des Wandels
Was ist Veränderung? Wenn wir von Veränderung sprechen, meinen wir hier den Übergang von einem bestehenden (ungünstigen) in einen neuen (besseren) Ordnungszustand. Etwas zu verändern heisst, sich von dem Bestehenden zu lösen, damit etwas Neues entstehen kann, weil mehr desselben uns nicht weiterbringt.
Wenn es nur darum geht, etwas Bestehendes besser zu machen, sprechen wir von Optimierung. Niels Pfläging sagt, Change sei so, wie Milch in Kaffee zu geben. Diese Metapher trifft eher für die Optimierung zu, denn erstens ist auch Milchkaffee immer noch Kaffee und zweitens wissen wir genau: wenn wir Milch in Kaffee giessen, entsteht Milchkaffee. Das Ergebnis ist vorhersehbar.
Anders bei Veränderungen: man lässt das Bekannte los und Liebgewonnenes zurück ohne das Neue bereits klar zu sehen, zu spüren oder zu verstehen. Veränderung ist daher unweigerlich mit Ungewissheit und Verunsicherung verbunden. Verunsicherung ist ein Kennzeichen von stattfindender Veränderung, die nicht nur Symptome kuriert oder das Bestehende optimiert.
Das Divergenz-Konvergenz-Modell für Veränderung
Zu Beginn einer Veränderung steht eine wichtige Fragestellung. Oft stellen nicht wir die Frage sondern die Frage stellt sich uns. Zum Beispiel:
- weil eine Leiden unerträglich wird,
- weil wir das Risiko sehen, dass Schaden entsteht wenn wir nicht handeln.
- Oder weil wir eine Chance erkennen, etwas grundlegend besser zu machen oder zu lernen
Ausgehend von dieser Fragestellung beschreibt das folgende Modell drei Phasen:
- Die Phase der Divergenz
- Die Phase der Emergenz
- und die Phase der Konvergenz
Vielleicht ist Ihnen diese Struktur bereits aus Methoden wie Design Thinking bekannt. In längeren Veränderungs- oder Innovationsvorhaben folgen meist mehrere solcher «Atemzüge» aufeinander.
Diese Dreiteilung mag auf den ersten Blick trivial erscheinen. Jede gute Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss. Doch für Führungskräfte ist es wichtig zu verstehen, in welcher Phase sich ein Veränderungsvorhaben befindet. Denn die Arbeit in jeder der drei Phasen unterscheidet sich grundlegend von den anderen.
Nun zu den drei Phasen:
Phase der Divergenz
Zu Beginn, eines Veränderungsvorhabens haben wir noch kein klares Ziel und kein gemeinsames Verständnis der Herausforderung. In der Phase der Divergenz geht daher es darum
- die richtigen Fragen zu stellen,
- offenen Austausch über unterschiedliche Perspektiven zu führen
- sowie Alternativen zu entdecken und zu erkunden,
Die Phase der Divergenz spannt den Raum der Möglichkeiten auf. Hier werden Ideen gesammelt aber noch nicht bewertet. Es ist wichtig für diese Öffnung und Erkundung des Themas genug Zeit einzuräumen. Wird die Phase der Divergenz zu früh abgeschlossen kommt es eher zu Missverständnissen und es ist weniger wahrscheinlich, dass innovative Lösungen entstehen.
Phase der Emergenz
In der Phase der Emergenz werden die Dinge sichtbarer. Ideen werden weiterentwickelt, verglichen und bewertet. Bedürfnisse werden konkretisiert und priorisiert. Liebgewonnenes wird über Bord geworfen und Neues entsteht. Die Beteiligten beziehen Positionen und treffen Entscheidungen. Entscheidungen sind immer kritisierbar. Daher ist diese Phase spannungsgeladen und konfliktbehaftet. Die Arbeit in dieser Phase wird von den Beteiligten oft als mühsam oder unangenehm empfunden. Daher wird sie auch gerne die «Knirsch-Zone» genannt. Doch auch hier ist es wichtig, die Ungewissheit auszuhalten. Denn in dieser Phase kommt es auch zu Gemeinsamkeitsgefühl, Aha-Momenten und Flow-Erlebnissen.
Phase der Konvergenz
Sobald sich tragfähige Lösungen abzeichnen geht es darum, die nächsten Schritte konkret zu machen und umzusetzen. Wer macht was bis wann? Wir sprechen von Zielen, Vereinbarungen und Meilensteinen. In der Phase Konvergenz braucht es oft schnelle und mutige Entscheidungen.
Veränderungsprozesse sind keine linearen Abläufe, keine Reisen von A nach B. Man kann sie nicht planen, steuern oder kontrollieren. Man muss immer wieder, mühsam Erarbeitetes verwerfen, ein paar Schritte zurücktreten und einen neuen Ausgangspunkt zu suchen. Wichtig sind dafür die eigene Wahrnehmung, der offene Dialog und die Unerschütterlichkeit, mit den Spannungen und der Ungewissheit umgehen zu können. Das Modell von Divergenz und Konvergenz bietet dafür Orientierung.
Art of Hosting and Harvesting of Conversations that Matter
Entwickelt und dokumentiert wurde es als Teil von Art of Hosting. Art of Hosting ist eine Praxis, um in verzwickten und unlösbar scheinenden Fragestellungen, tragfähige Lösungen zu entwickeln. AoH ermöglicht es, die Betroffenen mit ihren vielfältigen Perspektiven, Kompetenzen und Fähigkeiten einzubinden und gemeinsam in kleinen oder grossen Gruppen Lösungen zu entwerfen. Wir arbeiten mit AoH überall dort, wo nachhaltige Veränderungen realisiert werden sollen: in Teams, Organisationen, Institutionen und Initiativen.
Quellen und weiterführende Informationen: